Nach dem unerwarteten Wahlsieg von Donald Trump in den US-Präsidentschaftswahlen scheinen liberale Demokraten der Reihe nach einzuknicken. Unter dem Vorhaben, die Demokratie vor den Rechtspopulisten retten zu wollen, lassen sie sich auf deren Rhetorik und deren Forderungen ein. Das auf Angst oder Charakterschwäche zurückführen zu wollen, greift zu kurz.
Christian Rainer, Herausgeber des renommierten Nachrichtenmagazins profil, ist keiner, der Versuchungen verspürt, rechts des gesunden Menschenverstandes anzustreifen. Er war über Jahrzehnte eine der verlässlichsten Stimmen gegen Rechtspopulismus und publizistischer Hüter der liberalen Demokratie.
Dass Rainer in einem Leitartikel in der aktuellen Ausgabe des profil das Ende des liberalen Rechtsstaats fordert, muss nachdenklich stimmen. Er fordert nicht mehr und nicht weniger, als dass der Sozialstaat Menschen wegen ihrer Herkunft diskriminiert.
Für ihn erscheint es logisch, dass die Mindestsicherung für Migranten niedriger sein darf als für Österreicher. Für ihn muss sie es sogar.
Bedenklich ist vor allem, dass Rainer durchwegs, wenn auch in abgeschwächter Form, rechtspopulistische Formulierungen verwendet – und damit die dahinter stehende Logik legitimiert.
Ein schwacher Moment
Es würde zu kurz greifen, das allein an Christian Rainer festzumachen. Er ist beleibe nicht der einzige (Links-)Liberale, der in den vergangenen Wochen solche Forderungen erhoben hat.
Auch der sozialdemokratische Bundeskanzler Christian Kern hat sich entsprechenden Überlegungen gegenüber aufgeschlossen gezeigt. SPD-Chef Sigmar Gabriel hat vergangenes Jahr sehr deutlich die gleiche Forderung erhoben, wenn auch positiver formuliert.
Rechtspopulistische Rhetorik und die ihr zugrundeliegenden Weltvorstellungen sind in dieser Gesellschaft so dominant, dass sie auch ausgewiesene liberale Demokraten zumindest in schwachen Momenten übernehmen. Und dieser Leitartikel im profil war zweifellos ein besonders schwacher Moment.
Das zeigt sich vor allem in der Begründung für die Forderung, Migranten sollten weniger Mindestsicherung bekommen als Österreicher.
Ich verstehe umgekehrt, dass Österreicher eine Gleichstellung als ungerecht empfinden, als eine Enteignung von Heimat; ich verstehe das, obwohl ich es in meinem Wohlstand und meiner Blase nicht so empfinde. Es muss zumindest symbolische Unterschiede geben, besser deutlich reale.
Heißt: Die Leute wollen das eben so. Und wenn die Leute wollen, dass ein „Anderer“ weniger Rechte hat als sie – dann soll es eben so sein.
Dass politische und soziale Rechte von der Mehrheit gewährt oder weggenommen werden können, ist eine klassische rechtspopulistische Denkfigur. Eine zumal, die nur funktioniert, wenn man die Wirklichkeit ausblendet.
Das Argument ist falsch
Asylberechtigte oder Migranten mit dauerhaften Aufenthaltstiteln sind auf vielen rechtlichen Ebenen schlechter gestellt als Menschen mit österreichischer Staatsbürgerschaft. Es gibt immer noch die Möglichkeit, dass sie ausgewiesen werden, zum Beispiel. Wenn sie straffällig werden, etwa.
Sollten sie keine EU-Bürger sein, dürfen sie auf keiner Ebene politisch ihre Lebensumstände mitbestimmen.
Sie müssen die Sprache lernen und so genannte Integrationskurse machen.
Sie bekommen wesentlich schwerer Sozialwohnungen als Österreicher oder EU-Bürger.
Und so weiter, und so weiter.
Wenn das nicht „deutlich reale Unterschiede“ sind, weiß ich es nicht.
Haben Flüchtlinge weniger Hunger?
Ähnlich sind Aussagen wie diese:
Warum also soll etwa ein anerkannter Flüchtling mit oder ohne Familie vom österreichischen Staat mehr bekommen, als er unbedingt zum Leben braucht (warum nicht in Form von Sachleistungen)?
Die Höhe der österreichischen Mindestsicherung liegt mit etwa 840 Euro deutlich unter der Armutsgrenze und orientiert sich an dem, was man „unbedingt zum Leben braucht“.
Wie stellt sich das Rainer vor? Essen Flüchtlinge von Haus aus weniger als Österreicher? Haben sie aus unbekannten medizinischen Gründen weniger Hunger? Brauchen sie es aus ihrer Eigenschaft als Flüchtlinge heraus weniger warm im Winter als Österreicher?
Gibt es da irgendeine geheimnisvolle biologische Formel, die den Metabolismus von Nicht-Österreichern herabsetzt, sobald sie die Staatsgrenze überqueren?
Die Vorstellung, „Ausländer“ brauchten eben weniger zum Leben als österreichische Staatsbürger, ist jedenfalls eine unter Rechtspopulisten unabhängig von der Parteizugehörigkeit weit verbreitete. Man sollte sie nicht einfach so übernehmen.
Das Recht negieren, wenn es nicht passt? Ernsthaft?
Ähnlich diese Argumentationsschiene.
Dass diese Differenzierung aus europarechtlichen Gründen nicht möglich sei, ist jedenfalls kein Argument dagegen: Dann muss man diese Bestimmungen eben ändern oder negieren.
Das ist starker Tobak. Wenn uns das Recht nicht passt, negieren wir es.
Hat übrigens ein gewisser Jörg Haider als Kärnter Landeshauptmann mit Hingabe gemacht. Wenn es gegen vermeintlich „Andere“ ging, besonders gern.
Dass Haider den Slowenen das Recht auf zweisprachige Ortstafeln verwehrte und vermeintlich straffällige Aslywerber auf der Saualm de facto internieren ließ, hat gerade Rainers Zeitschrift profil immer mit hervorragend recherchierten Geschichten kritisiert.
Dass Christian Rainer das selbe Argument benutzt, um eine rechtsstaatlich bedenkliche Forderung zu argumentieren, irritiert schwerst. Um es ganz zurückhaltend auszudrücken.
Der Einzelfall als Beweis
Der Leitartikel wird nicht besser. Rainer rekapituliert eine Geschichte, die ihm „ein junger Mann“ erzählt hat.
Vier syrischstämmige Schüler sollen eine Lehrerin gequält und in die Frühpension getrieben haben. Disziplinarmaßnahmen hätten nichts gefruchtet.
Nur eines hätte geholfen, zitiert Rainer seinen Gewährsmann zustimmend:
„Hätte man dem Vater die staatlichen Zuwendungen gekürzt, hätte der Terror schlagartig aufgehört.“
Irgendwer kennt irgendwen, der irgendeine Geschichte erlebt hat, die irgendwas mit Ausländern zu tun hat und breitet das in der Öffentlichkeit aus.
Das hier ist eine Geschichte aus dritter Hand mit dem einen oder anderen unstimmigen Detail.
Wieso sollen Disziplinarmaßnahmen bei diesen Schülern nicht gefruchtet haben? Ganz so wehrlos, wie die Verfechter schwarzer Pädagogik tun, sind Lehrerinnen und Lehrer dann doch wieder nicht.
Und: Hier ist die Rede von vier Schülern. Dazu lese man den Satz im Resumee: „Hätte man dem Vater die staatlichen Zuwendungen gekürzt, hätte der Terror schlagartig aufgehört.“
Ein Vater mit vier Kindern, die alle die gleiche Lehrerin haben? Nicht die wahrscheinlichste aller Varianten. Vierlinge werden es kaum gewesen sein.
Wie also kommen die in die gleiche Klasse? Das ist bei vier Kindern sogar unwahrscheinlich, wenn sie während des Schuljahres eingeschult werden und etwa in die gleiche Schulstufe kommen, weil sie wegen des Krieges in der Heimat nicht in die Schule gehen konnten.
Abgesehen davon: Haben die Kinder keine Mutter?
Gut, vielleicht hat Rainer auch schlampig formuliert. Das sollte einem ausgewiesenen Profi wie ihm nicht passieren.
Es erschließt sich auch nicht, was die Herkunft der Kinder mit ihrem allfälligen schlechten Benehmen zu tun haben soll. Nur steht die Erzählung in einem Kontext, der suggeriert, das müsse so sein. Sonst wäre es völlig sinnlos, das zu erwähnen.
Natürlich fehlt bei dieser Geschichte auch jedes Detail, wo sich das alles zugetragen haben soll.
Übermäßig glaubwürdig ist das Beispiel nicht. Das heißt nicht, dass es zwangsläufig erfunden ist. Nur scheinen sich die Bemühungen des Autors, die Sache zu verifizieren, in Grenzen gehalten zu haben. So wie es aussieht, hat er ein Gerücht weitergegeben.
Die Lehre, die Rainer daraus zieht, ist angewandte Küchenpsychologie.
Geschichten dieser Art hört man übrigens vorzugsweise an rechtslastigen Stammtischen und man liest sie auf einschlägigen Seiten. Gerade profil hat sich damit hervorgetan, den Verbreitern ungeprüfter Gerüchte auf die Finger zu hauen.
Strache überstrachen funktioniert nicht
Das Schlimmste ist, dass Christian Rainer das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht aus innerer Überzeugung tut. Er hofft, mit solchen Strategien die liberale Demokratie zu retten.
Zugespitzt und zugegeben polemisch formuliert lautet das Kalkül, die Demokratie lasse sich vor einer Machtübernahme der FPÖ retten, indem man (Parteiobmann Heinz Christian, Anm.) Strache überstrachet.
Hat in den vergangenen 30 Jahren nicht funktioniert.
Dass Menschen wie Christian Rainer auf diese Strategie zurückgreifen, zeigt, wie tief der Schock über den Wahlsieg von Donald Trump sitzen dürfte.
Es zeigt auch und wahrscheinlich vor allem, wie sehr rechtspopulistische Denkfiguren und rechtspopulistische Rhetorik den Diskurs in dieser Gesellschaft bestimmen.
Und es macht deutlich, dass liberale Denker keine Vision dieser demokratischen Gesellschaft mehr haben. Nur mit einer solchen könnten sie dem Vormarsch der Rechtsradikalen- und populisten überzeugend entgegentreten.
Und das ist einer der Gründe, warum Parteien rechts des gesunden Menschenverstandes im Moment so erfolgreich sind.
Bleibt zu hoffen, dass sich links der Mitte Kräfte formieren, die eine überzeugende Vorstellung einer gerechteren Gesellschaft formulieren können, die auch denen Mitbestimmung sichert, die von den ökonomischen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte wenig profitiert oder sogar verloren haben.