Österreichs Konservative fordern nahezu geschlossen, dass die Europäische Menschenrechtskonvention überarbeitet wird. Was sie damit bezwecken, sagen sie nicht. Die offizielle Begründung klingt reichlich albern.
August Wöginger, Klubobmann der ÖVP im österreichischen Nationalrat, hat etwas gegen Flüchtlinge. Vor allem gegen die, die aus Syrien, Afghanistan oder sonst einem für seine idyllischen Zustände bekannten Ort der Welt nach Österreich kommen wollen.
Dass ihn seine Kollegin beim kleineren Regierungspartner, den Grünen, Sigrid Maurer, mehr oder weniger liebevoll „Gustl“ nennt, ändert nichts an seiner offenkundig sehr grundlegenden Abneigung gegen Menschen, die Schutz suchen.
Noch scheint, das sei hinzugefügt, letzterer Umstand etwas an der Zuneigung Maurers an ihm geändert zu haben.
Österreichs Grüne sind festentschlossen, der christlichsozialen ÖVP von Korruption über Machtmissbrauch bis zum Torpedieren von Menschenrechten so ziemlich alles zu verzeihen. Sogar äußerst antiökologische Gesetze, und bei Ökologie verstehen die Grünen im Gegensatz zu den vorangenannten Themen nun wirklich keinen Spaß.
Ob ist in der vagen Hoffnung, der geliebte, misshandelnde, Partner werde sich eines Tages doch zum Besseren wenden oder einfach schnöder Machtrausch, werden Psychiater oder Historiker späterer Generationen zu entscheiden haben.
Zurück zum eigentlichen Akteur im Kreuzzug gegen die Menschenrechte, zu August Wöginger.
Der lanciert die Idee, Österreich möge aus der Europäischen Menschenrechtskonvention aussteigen oder diese jedenfalls gründlichst überarbeiten lassen.
Die Komplizen des Herrn Wöginger
Dem schließen sich immer mehr ÖVP-Granden an:
Der Landeshauptmann der Steiermark, Christoph Drexler.
Der Landeshauptmann von Salzburg, Wilfried Haslauer.
Der Landesobmann der ÖVP Burgenland, Christian Sagartz.
Das sind nicht irgendwelche Leute, von Sagartz vielleicht abgesehen.
Woran es den burgenländischen Christlichsozialen an realer oder sonstiger Bedeutung gebricht, machen sie in Person von Sagartz mit Mysterienspielen wett.
Als da wären die Begründung des Genies der Pannonischen Tiefebene, warum die ÖVP Burgenland es nicht so hat mit den Menschenrechten, zitiert wörtlich aus ORF.at
Sagartz, der auch stellvertretender Vorsitzender im Menschenrechtsausschuss des EU-Parlaments ist, sagte gegenüber der APA: „Niemand möchte die Menschenrechte willkürlich ändern. Aber für mich ist ganz klar – die über 70 Jahre alte Menschenrechtskonvention benötigt ein Update beim Thema Migration, und diese Diskussion sollten wir so schnell als möglich starten.“
Nicht viel verständlicher kann oder will der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer erklären, was er denn gegen die Menschenrechte im Allgemeinen und die Europäische Menschenrechtskonvention im Besonderen hat:
„Menschenrechtsmaterien sind besonders sensibel, wir müssen behutsam mit ihnen umgehen“, betonte ein Sprecher von Salzburgs Landeshauptmann Haslauer zur APA. „Asylgrundsätze sind eindeutig und für jene da, die Asyl brauchen. Wir benötigen aber eine Lösung für Wirtschaftsflüchtlinge, die sich auf Asylgrundsätze berufen – ohne aber, dass sie überhaupt Aussicht auf Asyl haben“, ebenfalls wörtlich zitiert aus dem Beitrag von ORF.at
Dass Haslauer für Behutsamkeit bei Menschenrecht plädiert, mag ehrsam sein, wenngleich es als hohle Phrase anmutet, wenn man sie jemandem wegnehmen will.
Besser als Sensibilitätskurse würden dem Mann freilich Grundkurse in der Juristerei bekommen.
Es keimt ein wohlbegründeter Verdacht.
In der Europäischen Menschenrechskonvention steht zum Thema Asyl überhaupt nichts.
Rein gar nichts.
Wer’s nicht glaubt, kann hier nachsehen.
Genausoviel steht dort zum Thema Migration.
Was auch immer sich aus dem EMRK an Rechten für Migranten oder Flüchtlinge ableiten lässt – es sind Rechte, wie sie jeder und jedem zustehen. Rechte, die aus guten Gründen als unteilbar gelten.
Das Argument, wegen Migration und Flüchtlingen müsse man die EMRK ganz oder teilweise kübeln, ist bei wohlwollendster Betrachtung eine alberne Begründung.
Da könnte man genausogut die österreichische Bundesverfassung neu schreiben wollen, um endlich ein österreichisches Mondfahrtprogramm ins Leben zu rufen.
Bedenkt man die Geschichte der Christlichsozialen in Österreich, drängt sich vielmehr der wohlbegründete Verdacht auf, mit ihren albernen Begründung hätten die heimischen Konservativen ganz andere Bestimmungen der Menschenrechtskonvention im Sinn.
Und, so viel erzkatholisches Heuchlertum steckt auch nach dem Sturz des beohrten Kurz-Zeit-Messias in ihnen, das wollen sie einfach nicht so offen sagen.
Die Fortsetzung einer christlichsozialen Tradition
Kandidaten, an denen sich die Christlichsozialen hierzulande historisch oder aktuell schon mehr oder weniger deutlich gestoßen haben, gebe es viele.
Der gelernte Österreicher hat etwa sofort Artikel 4, Absatz 1 im Verdacht: „Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden.“
Gegen derlei Umtriebe ging der christlichsozialste Bundeskanzler Engelbert Dollfuß schon im Februar 1934 christlichsozial-behutsam vor, mobilisierte Armee und faschistische Milizen und ließ mit Kanonen auf Arbeiterwohnungen schießen.
Die Mobilisierung galt auch einem anderen Prinzip, das in Artikel 10 der EMRK ihren Niederschlag findet:
„Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben“.
Richtig warmgeworden mit solch revolutionären Gedanken sind die Christlichsozialen, von einigen Ausnahmen abgesehen, bis heute nicht, hat es den Anschein.
Österreichs Innenminister Gerald Karner hat sich fast seine ganze politische Karriere lang für ein Museum zu Ehren von Engelbert Dollfuß in der niederösterreichischen Gemeinde Texing engagiert.
Und man muss nur dem von der ÖVP nominierten Arbeitsminister Martin Kocher zuhören, wenn er über mehr Strafen für Arbeitslose nachdenkt, und es kommen einem Zweifel, ob er Sklaverei und Leibeigenschaft wirklich als prinzipiell übel und vor allem als verboten ansieht.
Vielleicht stößt sich Wöginger auch am Prinzip eines fairen Verfahrens, erläutert in Artikel 6 der EMRK.
Die Rechtsprinzipien gelten implizit auch für Asylwerber und Migranten.
Sie machen es schwerer, Menschen nach Lust und Laune einzusperren oder irgendwohin zu deportieren.
Freilich erschiene es gerade für die ÖVP ein eher unglücklicher Umstand, ausgerechnet jetzt das Recht auf ein faires Verfahren abschaffen zu wollen.
Immerhin ist der eine oder andere ehemalige Spitzenfunktionär der ÖVP Ziel von Korruptionsermittlungen, und treffen könnten weitere Ermittlungen auch den einen oder anderen aktiven Spitzenfunktionär.
Nach all dem, was bisher bekannt wurde, wird das Recht auf ein faires Verfahren nicht jeden Einzelnen vor einem Aufenthalt auf Staatskosten bewahren. Ohne ein faires und rechtsstaatliches Verfahren würde es freilich noch viel schlimmer aussehen für die Betroffenen.
Andererseits: Ohne den Rechtsgrundsatz auf ein faires Verfahren könnte man die Ermittlungen auch ganz einfach abwürgen und die ehemalige ÖVP-Führungssriege wäre ganz ohne Risiko aus dem Schneider.
Vielleicht hat Wöginger ja das im Sinn. Andererseits: So bauernschlau er auch für Einige wirken mag, so viel strategisches Verständnis traut ihm ein nüchterner Beobachter dann eher nur schwer zu.
Außerdem ist für die Justiz Ministerin Alma Zadić zuständig. Die hat Wögingers Begehren, die Europäische Menschenrechtskonvention aufzuweichen, öffentlich zumindest sanft widersprochen.
Der Widerspruch reichte freilich nicht so weit, Wöginger und seine Spießgesellen daran zu erinnern, man könne ihre Gedanken – oder was sie eben für Gedanken halten – auch für Verstoß gegen Artikel 17 der EMRK halten:
Diese Konvention ist nicht so auszulegen, als begründe sie für einen
Staat, eine Gruppe oder eine Person das Recht, eine Tätigkeit
auszuüben oder eine Handlung vorzunehmen, die darauf abzielt, die
in der Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten abzuschaffen
oder sie stärker einzuschränken, als es in der Konvention vorgesehen
ist.Artikel 17, Europäische Menschenrechtskonvention
Vielleicht verwechseln die Herrschaften auch ganz einfach etwas
Es ist möglich, dass der gelernte Österreicher mit seinem wohlbegründeten Verdacht falsch liegt, große Teile des Spitzenpersonals der ÖVP wollten ganz einfach mit der Ausrede Asyl grundlegende Menschenrechte abschaffen.
Wahrscheinlich ist es nicht.
Die einzige plausible Begründung für einen solchen Irrtum wäre, dass Wöginger und die anderen Geistesblitze von rechts des gesunden Menschenverstandes nicht die Europäische Menschenrechtskonvention des Europarats angreifen sondern sie ganz einfach mit der Genfer Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen verwechseln.
Diese regelt international verbindlich die Rechte von Flüchtlingen.
Immerhin steckt in beiden ja das Wort Konvention, und da kann man schon mal durcheinanderkommen.
Auch, wenn man ein Jurist ist wie der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer. Gut, der Mann ist nicht mehr der Jüngste.
Und schon in jüngeren Jahren sagte ihm niemand nach, ein Genie zu sein.
Journalisten, Juristen und die allgemeine Öffentlichkeit haben in den vergangenen Tagen die Angreifer auf die EMRK mehrfach auf diese mögliche Verwechslung hingewiesen.
Reagiert auf diese Feststellung hat noch keiner dieser Herrschaften.
Was den Verdacht aufkommen lässt, hinter all dem christlichsozial-behutsamen Unsinn stecke weniger böse Absicht als das schiere Unvermögen, Rechtsstrukturen im Speziellen und die Welt im Allgemeinen zu begreifen.
Sollten sie nicht das Thema Asyl als Ausrede benutzen, grundlegende Menschenrechte abzuschaffen, sollten sich vielleicht die Herren Wöginger, Haslauer, Dexler und Sagartz überlegen, ob sie sich nicht besser einen Erwachsenenvertreter zur Seite stellen lassen wollen.
Und der Wähler sollte sich überlegen, was er mit einer Partei anfangen soll, die in Spitzenfunktionen Menschen beruft, die nicht einmal grundlegende Gesetzestexte auseinanderhalten können.