800 Menschen auf ehemaliger Mülldeponie entsorgt

Die Lage im bosnischen Bihać nahe der EU-Grenze ist im Juni dramatisch eskaliert. Vor zwei Wochen ist es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Migrantengruppen auf den Straßen der Stadt gekommen. Die Behörden zwangen daraufhin 800 Flüchtlinge, auf einer Mülldeponie zu campieren.

von Dirk Planert

Hunderte hatten davor in leerstehenden Gebäuden, Parks und auf den Straßen ihre Lager aufgeschlagen.

Mitte Juni eskalierte die Lage. Es kam zu Übergriffen gegen Einwohner, Einbrüchen und Diebstählen.

Foto: Dirk Planert

In der 40.000 Einwohnerstadt leben 6.000 bis 8.000 Migranten/Flüchtlinge (20% der Bevölkerung).

Ein nur geringer Anteil Krimineller reichte, um die Situation explosiv zu machen. Man befürchtete, dass sich Teile der Bevölkerung gewalttätig zu Wehr setzen.

Am Tag nach den Ausschreitungen wurden Flüchtlinge, die nicht im offiziellen Camp Bira der International Organization of Migration (IOM) untergebracht sind, von der Polizei in Busse gezwungen und 10 Kilometer außerhalb der Stadt in einem Wald abgeladen. Den letzten Kilometer bis zu ehemaligen Mülldeponie Vučjak mussten sie laufen.

Seitdem sind dort etwa 800 Menschen in Zelten untergebracht.

Keine medizinische Versorgung, keine Toiletten

Aus dem Boden steigen laut Anwohnern Methangase auf. Es gibt keine medizinische Versorgung.

Foto: Dirk Planert

Die meisten Flüchtlinge haben Hauterkrankungen, offene und entzündete Wunden an Füßen, Beinen und Armen. Dazu kommen teilweise starke Prellungen durch Knüppel der kroatischen Polizei.

Es gibt keine Toiletten, keine Duschen, keinen Strom.

Spezialeinheiten der Polizei durchkämmen Bihać auf der Suche nach Migranten.

Wen sie erwischen, der wird sofort nach Vučjak transportiert. Mittlerweile auch Menschen, die ihre Ausweise der IOM vorzeigen können und einen regulären Platz in einem offiziellen Flüchtlingslager haben.

Menschenrechts- und Hilfsorganisationen wird der Zutritt verweigert.

Bihać, der (un)gewollte Flaschenhals

Flüchtlinge der gesamten Balkanroute werden nach Bihać geleitet und hängen dann dort fest.

Wer es bis in die EU schafft, darf dort nicht sein Recht auf einen Asylantrag wahrnehmen.

In Slowenien und Kroatien kommt es zu illegalen sogenannten Push Backs. Die Flüchtlinge werden teilweise mit Gewalt zurück über die Grenze nach Bosnien getrieben.

Foto: Dirk Planert

Einhellig berichten Migranten von Prügeln durch die kroatische Polizei. Außerdem werden ihnen Rucksäcke, Smartphones (zur Orientierung), Geld und teilweise sogar die Schuhe abgenommen, bevor sie über die grüne Grenze zurückgeschoben werden.

Es kommen immer mehr Menschen nach Bihać, nur wenige schaffen es bis nach Italien, um von dort weiter zu reisen. Mit der Entscheidung der Stadt, die Menschen auf die Mülldeponie zu transportieren, ist das Fass nun übergelaufen.

Foto: Dirk Planert

Die IOM (Internationale Organisation für Migration) weigert sich, die Kapazitäten in den Camps auszubauen.

Wer keinen Platz bekommt, wird nicht versorgt. EU Gelder, die für die Versorgung nach Sarajevo geschickt werden, kommen laut Bürgermeister Surhed Falić nicht in Bihać an.

Die Stadt ist völlig überfordert und wird erneut allein gelassen. Wie während der Belagerung durch serbische Truppen 1992-95.

„Durfte durch, weil mich einige Polizisten persönlich kannten“

Ich war am 14. Juni in Bihać und habe beobachtet, wie etwa 300 Migranten in Busse gezwungen wurden.

Dann bin ich den Bussen gefolgt.

Angekommen auf der Müllkippe habe ich begonnen die Situation mit Fotos zu dokumentieren und habe mit einem First Aid kit sofort angefangen, die ersten Füße zu verbinden.

Dann habe ich Geld organisiert und bin täglich in Apotheken zum Einkaufen und dann nach Vučjak, um Wunden zu desinfizieren und zu verbinden. Das waren 10 Tage Dauereinsatz.

Leider musste ich dann abbrechen, um in Dortmund Geld für Miete etc. zu verdienen. Sobald ich das erledigt habe, fahre ich sofort wieder los.

Da ich in der Stadt zeitgleich eine Fotoausstellung hatte und dort sehr bekannt bin, hatte ich viele Gespräche mit Einheimischen, dem Bürgermeister, dem Regierungspräsidenten und unzählige mit Migranten.

Ich durfte den Polizeicheckpoint vor der Müllhalde passieren, weil einige der Polizisten Kriegskinder waren, die ich damals als humanitärer Helfer versorgt habe. Ich durfte jedoch nur mitnehmen, was ich tragen konnte. Also nicht mit einem Transporter reinfahren.

Die Menschen auf der Müllhalde brauchen sofortige Hilfe. Die Stadt Bihać muss sofort entlastet werden, damit es nicht zu einer weiteren (gewalttätigen) Eskalation kommt.

Flüchtlinge und Bihać nicht alleine lassen!

  • Bisher ist kein Cent der EU Gelder für Migranten in Bihać angekommen, Sarajevo behält das Geld.
  • Die IOM weigert sich, den Menschen in učjak zu helfen. Das gilt für alle nicht registrierten Flüchtlinge.
  • Das lokale Rote Kreuz besteht darauf, das Hilfsgüter nur von ihnen verteilt werden. Die Organisation „Bauern helfen Bauern“ durfte das Gelände nicht betreten. Die haben ihre Hilfsgüter wieder mitgenommen. Eine gute NGO wird ihre Hilfsgüter niemals dem Roten Kreuz überlassen. Die Korruption im Lande ist zu hoch, als dass man das tun könnte.
  • Kroatien und Slowenien müssen den Menschen Asylanträge ermöglichen, statt sie illegal zurück zu pushen.
  • Die Polizei in Bihać muss Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen den Zutritt erlauben.
  • Vucjak muss sofort geschlossen und die Menschen in Camps nach internationalem Standard gebracht werden. Lokale Journalisten sagen, das die IOM noch 100 Wohncontainer in Sarajevo gelagert hat.  
  • Der Regierungspräsident des Kantons Mustafa Ruznić und Bürgermeister Surhet Fazlić brauchen sofortige finanzielle Unterstützung, damit die lokalen Organisationen weiterarbeiten können.  Die Ausgaben müssen von EU-Behörden kontrolliert werden.

Sofort einschreiten!

Europa schottet sich ab. Die Konsequenzen für Migranten sind nicht hinnehmbar und verstoßen gegen die Menschrechte.

Ebenso ist die Bevölkerung von Bihać betroffen. Ein „normales“ Leben ist in einigen Bereichen nicht mehr möglich. Die Stimmung wird immer aggressiver.

Die EU- und die deutsche Politik (und ebenso die österreichische, Anm. d. R.) müssen energisch einschreiten. Sofort!

Die Deportationen auf die Müllhalde werden aktuell kontinuierlich fortgesetzt. Mittlerweile prügelt auch die bosnische Polizei auf Migranten ein. Das Signal ist klar: „Verschwindet“. Aber wo sollen die Menschen hin?

Am Abend meiner Rückkehr meldet die Tagesschau sinkende Flüchtlingszahlen für Deutschland. Das Warum hat man verschwiegen.

Der Preis dafür: Die Menschenrechte der Migranten und das friedliche Leben der Bürger in Bihać.

Text: Dirk Planert

Fotos: Foto: Dirk Planert

Dirk Planert ist deutscher Journalist. Er war unter anderem Korrespondent während des Bosnienkrieges und war 1994 in Bihać eingeschlossen. Heute arbeitet er für den WDR. Seit seinen Erlebnissen während des Krieges engagiert sich Dirk für humanitäre Belange in Bosnien und die Rechte von Flüchtlingen. Er hat unter anderem in den vergangenen Monaten mehrfach Hilfe für Flüchtlinge in Bosnien organisiert.

Dieser Text ist zuerst auf der Facebookseite der NGO Peer-Leader International erschienen und erscheint hier mit freundlicher Genehmigung des Autors und von Peer-Leader International. Für Rückfragen zu Hilfsangeboten steht die Organisation zur Verfügung.

22 Gedanken zu “800 Menschen auf ehemaliger Mülldeponie entsorgt

  1. Die Menschen sind so vergesslich. Es ist noch gar nicht so lange her, dass bosnische Flüchtlinge zu uns nach Deutschland kamen. Meine Schwägerin gehörte dazu, heiratete dann meinen Bruder und blieb in Deutschland. Ich selbst war 2 Jahre nach Beginn des Ex-Jugoslawien Krieges in Kroatien und sah auf den Straßen noch die Spuren der Panzer und die Einschusslöcher in den Mauern der Häuser, herrührend vom Versuch der Serben nach Slowenien einzufallen. Man erinnere sich bitte auch an das Massaker von Srebrenica. Aber auch hier ist den Menschen das eigene Hemd näher als das anderer. Wie man mit soviel Kaltherzigkeit sich an Menschen vergehen kann, die nur vor einem mörderischen Bürgerkrieg fliehen, genauso wie ihre Mitbürger das 20 Jahre zuvor auch getan hatten und froh waren, Hilfe zu finden, ist mir unbegreiflich. So wie mir unbegreiflich ist, wie kaltherzig dieser Kontinent Europa werden konnte angesichts der Hilfslosigkeit dieser Menschen. Lieber nehmen sie in Kauf, dass der rechtsradikale Faschismus wieder Überhand nimmt und sich der rechtsradikale und neonazistische Terrorismus in Europa ausbreitet. Wieviele habe ich jammern hören über die angeblich sovielen Opfer der Flüchtlinge, aber selbst tun sie alles, um die Opfer des Faschismus noch um ein Vielfaches in die Höhe zu treiben.

    Berechtigte Kritik ist das schon längst nicht mehr, denn gegen die hat niemand was, da berechtigte Kritik alle Seiten beleuchtet. Das was in Europa und eigentlich allen Ländern abläuft, das ist eine Hetzjagd auf unschuldige Menschen und jeder, der egal auf welche Art und Weise da mitmacht, der hat Mitschuld, wenn nicht sogar das Blut dieser Menschen an den Händen. Und jeder dieser Hetzer und Menschenfeinde trägt dazu bei, dass das Mittelmeer als Massengrab in die Geschichte eingehen wird. Also ich persönlich werde dort keinen Urlaub mehr machen können, ohne den Gedanken an die vielen Toten im Hinterkopf zu haben.

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  2. I would love to see this in english to spread it more than the 2 german speaking countries.
    This is important and more people should be aware of the situation.

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  3. Es ist unglaublich brutal, wie mit diesen Menschen umgegangen wird. Kroatien steckt die Gelder der EU ein und Europa tut nichts. Wir müssen handeln. Niemand kommt freiwillig hier her. Auch diese Menschen haben Rechte.

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  4. Angela, bist auch den balkan geschichten verfallen ! ! Die serben jna war in slo und wollte nach hause mit den panzer sie wurden in cro auch freundlich empfangen . Einschusslöcher und gesprengte häuser kannst du heute noch überall in cro sehen zadar , islam grcki , benkovac umland , obrovac umland bosnien empfehle ich crni lug und bosansko grahovo …..sind aber alles ex “ serbische häuser “ von vertriebenen . Ps balkanprice waren für uns gewöhnliche westler schon immer schwer zu durchschauen . Jeder lügt svac laze …sind nicht meine worte !!!!! Gruss

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  5. Ein typische Vermeidungsstrategie anstatt die Probleme vor Ort zu klären, aber die Angst und Hass machen die Menschen blind. Blind um zu erkennen das die Flüchtlinge nicht das Problem sind sondern die fehlende Unterstützung seitens der Eu und die Korruption.

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  6. @angelajohanna

    weshalb lassen sie jenen teil in ihrem kommentar aus, dass hilfsgelder die nach sarajevo geschickt werden nicht in bihac ankommen.
    wissen sie wie die wirtschaftliche lage in bosnien ist: arm.
    noch immer konnten spuren des krieges nicht beseitigt werden, da vielerorts das geld fehlt. die älteren menschen leben von der hand in den mund. die jungen wandern oder um es gefühlt zu beschreiben: flüchten nun wegen der schlechten wirtschaftichen lage.

    bitte wer helfen könnte, würde es. wir sind ehemalige flüchtlinge und wir senden immer noch wie zu zeiten des bosnienkrieges benutztes gewand und geschirr nach bosnien. das sind NOCH IMMER LUXUSGÜTER. gott verdammt noch einmal.

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  7. Es wäre interessant zu wissen welcher der „Geflüchteten“ vor politischer oder rassistischer Verfolgung geflohen ist und welcher der „Geflüchteten“ sich den Strafverfolgungsbehörden seines Heimatlandes entziehen will

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  8. so so also gehen die Bosnischen-Muslime mit ihren Glaubensbrüdern um.Den Kroaten und Slowenen kann man nichts vorwerfen Sie tun nur Ihre Grenzen schützen und wenn der Flüchtling dann zum „X“-Ten mal versucht Illegal über die Grenze zu kommen nun dann gibt es eben einen auf die Mütze!.Die EU-Schaut zu es juckt Sie nicht!.Bosnien hätte das Recht alle Illegale abzuschieben aber das machen Sie nicht besser es den Kroaten und Slowenen zu überlassen!.

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    1. @duro die staatsgewalt hat nichts mit religion zu tun.
      das sind keine ziviliszen die jene flüchtlinge auf müllhalden abladen.
      wieso die polizei soetwas für einen richtigen plan hält. frage nicht!!!!!!

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  9. Es ist nur schrecklich…
    Wie kann man möglichst wirkungsvoll und schnell helfen?
    Durch das Teilen etc. gibt es zwar Aufmerksamkeit, aber ändern tut sich realistisch wahrscheinlich nichts…
    Gibt es vielleicht eine Petition dazu?

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  10. @duro: du verwechselst da etwas, es handelt hier nicht um ausschließlich Muslime, die flüchten! Ich glaub das begreifen viele einfach gar nicht!

    Außerdem haben die Menschen, die in Bihac wohnen, versucht zu helfen. Nur deren Mittel sind leider auch begrenzt.

    Dazu müsste man auch den Hintergrund kennen, denn die beziehen leider kein AMS Geld oder Hartz IV, wie in Ö oder DE. Dafür reicht es leider nicht! Denn zuerst müssen die Politiker Ihre „Gehälter“ kassieren. Das bringt mich auch zu dem Thema, warum das Geld in Sarajewo bleibt! Wir (bin selbst aus Bosnien) haben 3 Präsidenten!

    Ich finde, die EU macht es sich zu einfach. Aber es war während des Jugoslawien Krieges leider auch nicht anders!

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